14.03.2022
Es bedarf großer gemeinschaftlicher Anstrengungen, um die EU-Klimaziele zu erreichen und Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. So lautete der Tenor der Referent:innen der Session Industrie & Produktion beim OÖ Zukunftsforum am 8. und 9. März. Strategien zur Dekarbonisierung der Industrie, zum Ausbau erneuerbarer Energien und für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft wurden an diesen beiden Tagen vorgestellt und rege diskutiert. Angesichts der aktuellen geopolitischen Situation schienen diese Themen der Veranstaltung wie auf den Leib geschrieben. Organisiert wurde die Session Industrie & Produktion vom Cleantech- und Kunststoff-Cluster der oö. Standortagentur Business Upper Austria.
Die Industrie zählt weltweit zu den Sektoren mit dem größten Energieverbrauch und hohen CO2-Emissionen. Auch ein Blick auf Österreich zeigt: Die Industrie bildet zwar das wirtschaftliche Rückgrat unseres Landes, sie benötigt aber 37 % des österreichischen Primärenergiebedarfs und verursacht ein Drittel der CO2-Emissionen.
Was die Vorzeigeregion NEFI zur Dekarbonisierung der Industrie in Österreich leistet, darüber sprach Thomas Kienberger, Leiter des Lehrstuhl für Energieverbundtechnik an der Montanuniversität Leoben. Für ihn ist klar: „Nicht mehr das ‚Ob‘ sondern das ‚Wie‘ der nachhaltigen Industrietransformation steht in Österreich im Fokus.“ Diesen Prozess unterstützt NEFI mit hochwertigen Lösungen. 17 Projekte sind aktuell am Laufen, in denen rund 100 Partner aus dem NEFI-Innovationsnetzwerk konkrete Szenarien erarbeiten, wie Dekarbonisierung und damit eine Energiewende gelingen kann. „Um all diese Projekte zu realisieren, ist Diskurs wichtig. Die Wissenschaft muss sich mit den Unternehmen austauschen und gemeinsam entscheiden, wo Technologieentwicklung notwendig ist. Dafür arbeiten wir in der Vorzeigeregion NEFI eng mit der Industrie zusammen“, betonte Kienberger.
„Wollen Sie in Zukunft noch so leben wie heute?“ Mit dieser Grundsatzfrage an das Publikum startete Irmela Kofler von der K1-MET GmbH ihren Vortrag. Lebensqualität in einer hoch technologisierten Welt wie wir sie heute kennen – bequem Reisen mit Flugzeug, Auto oder Bahn, Schifahren, modernes Wohnen mit technologischer Ausstattung – all das ist ohne Stahl nicht möglich. Diesen Werkstoff bis 2050 nachhaltig zu produzieren, ist das Ziel von greentec steel, der Dekarbonisierungsstrategie der voestalpine. Im EU-geförderten Projekt „H2FUTURE“, an dem das K1-MET als wissenschaftlicher Partner maßgeblich mitarbeitet, erforschen die voestalpine, VERBUND, Siemens, Austrian Power Grid und die niederländische Forschungsorganisation TNO die industrielle Produktion von grünem Wasserstoff, der langfristig fossile Energieträger in der Stahlproduktion ablösen soll. Die am Voestgelände in Linz errichtete Elektrolyseanlage liefert seit ihrer Inbetriebnahme im Herbst 2019 wichtige Forschungsergebnisse, die bestätigen, dass die nachhaltige Herstellung von Wasserstoff im großindustriellen Dauerbetrieb möglich ist.
Grüner Wasserstoff als Alternative zu fossilen Energieträgern hört sich freilich interessant an, der Energiebedarf zu seiner Herstellung ist jedoch enorm groß, gaben Stimmen aus dem Publikum zu bedenken. „Alle reden von H2, aber wie hoch sind die Kosten dafür“, lautete eine konkrete Frage eines Teilnehmers. Tatsächlich ließe sich der Break-Even-Point von grünem Wasserstoff im Vergleich zu jedem aus fossilen Energien laut Thomas Kienberger schwer abschätzen, doch „wenn wir alle die geforderten Klimaziele bis 2050 ernst nehmen, wird sich wirtschaftlich gesehen beim Thema Wasserstoff schon noch einiges tun“, blickte Irmela Kofler abschließend positiv in die Zukunft.
Wie Nachhaltigkeit in der Aluminiumindustrie gelebt wird, zeigte Markus Schober von der HAI-Gruppe in seinem Vortrag. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Ranshofen/OÖ produziert hochwertiges Recycling-Aluminium. „Wir wollen sicherstellen, dass Aluminiumschrott aus allen Produktsegmenten effizient recycelt wird und damit einen Beitrag zur Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft leisten“, erklärt er. Die meisten Emissionen in der Aluminiumindustrie entstehen bei der Herstellung von Primäraluminium. Durch Erhöhung der Recyclingquote kann der CO₂-Fußabdruck in der gesamten Branche signifikant verringert werden. „Für unsere Produkte benötigen wir nur 20 % Primärmetall. Die restlichen 80 % sind recyceltes Aluminium“, sagt Schober.
Aber auch bei der Herkunft des notwendigen Primäraluminiums schaut die HAI-Gruppe auf Nachhaltigkeit und bezieht von einem isländischen Partner sogenanntes Natur-AITM Low-Carbon Aluminium, das mit Energie aus 100 % erneuerbaren Quellen hergestellt wird. Die von der EU vorgegebenen Klimaziele sieht Markus Schober als extrem ambitioniert. Für deren Umsetzung würde es seiner Meinung nach die Anstrengung aller bedürfen, „denn die Industrie alleine wird die Ziele bis 2050 nicht umsetzen können“, ist er überzeugt. Schon jetzt steigt der Druck auf die Unternehmen, mehr in Nachhaltigkeit zu investieren. Deshalb setzt die HAI-Gruppe auf bekannte Zertifizierungen wie ASI, die dem Unternehmen quasi ein „grünes“ Zeugnis ausstellt, mit dem man sich vom Mitbewerb abheben kann.
Um umfassende Datenerhebung drehte sich der anschließende Vortrag von David Schönmayr von Fronius International. Wichtig sei ihm, „beim Thema Nachhaltigkeit die Emotionen rauszunehmen und allein Zahlen und Daten sprechen zu lassen“. Mit Daten lässt sich nämlich eine Lebenszyklusanalyse (LCA – Life Cycle Assessment) erstellen, deren Ergebnisse bei Fronius frühzeitig in die Produktentwicklung einfließen. Wie so eine LCA aussehen kann, erläuterte er am Beispiel des Hybridwechselrichters GEN24 Plus. In unzähligen Einzelschritten wurde das Produkt zerlegt und selbst für die kleinsten Bauteile ein CO2-Fußabdruck ermittelt. Dabei zeigte sich: In den Bauteilen steckt ein extrem großer Carbonfootprint. Deshalb sei eine sortenreine Trennung beim Recycling wichtig, betonte Schönmayr: „Das dauerte im Falle des GEN24 tatsächlich nur fünf Minuten, erzeugte aber einen großen Nutzen“. Apropos Nutzen – der Umweltnutzen der gesamten LCA überstieg laut Schönmayr den Aufwand um das 26-Fache! Und das, obwohl im konkreten Beispiel die Ressourcen von fünf Vollzeitmitarbeiter:innen ein ganzes Jahr lang gebunden waren.
Das Thema „Carbon Capture and Utilization“ (CCU) – also wie CO2 nach dessen Abscheidung sinnvoll weiterverwendet werden kann – beherrschte die anschließende Podiumsdiskussion. Insbesondere für Helmut Leibinger vom Zementhersteller Rohrdorfer ist CO2 ein Wertstoff, der – etwa in Kombination mit Wasserstoff – tolle Produkte hervorbringen kann. Die notwendigen Technologien dafür würden existieren, meinte Leibinger und er sieht darin eine reelle Chance, wie Kreislaufwirtschaft in der oberösterreichischen Industrie gelingen kann.
Die Wasserstoffinitiative Vorzeigeregion Austria Power & Gas, kurz WIVA P&G, setzt bei der Frage, wie die Energiewende gelingen kann, auf grünen Wasserstoff. Um den in ausreichendem Maße gewinnen zu können, braucht es allerdings viele erneuerbare Energieanlagen, erklärte Erwin Reichel von der WIVA P&V. Und die müssten in Österreich erst aufgebaut werden. Genügend Freiflächen etwa für Photovoltaikanlagen wären seiner Meinung nach da. Die große Frage ist, wie schnell wir den Aufbau schaffen, um uns in Österreich mit erneuerbarer Energie selbstversorgen zu können. Wichtig seien laut Reichel auch Langzeitspeicher, um beispielsweise den im Sommer gewonnenen Strom in den Winter zu transportieren.
„Alleine wird es niemand schaffen, die Industrie in unserem Land emissionsfrei zu gestalten. Dafür müssen alle zusammenarbeiten und voneinander lernen“, ist Martin Hackl von Fronius überzeugt. Er ist auch Beiratssprecher im Cleantech-Cluster und schätzt die zahlreichen Initiativen und Leitprojekte des CTC in Sachen Klimaneutralität. „Wir schaffen die Energiewende nur, wenn wir uns vernetzen. Bis 2050 klimaneutral zu werden, wird kompliziert. Dafür sind viele verschiedene Expert:innen notwendig. Und die finde ich in Clusternetzwerken“, ergänzte Hackl abschließend.
Tag zwei der Session Industrie & Produktion stand ganz im Zeichen der Kreislaufwirtschaft. Manfred Hackl von der EREMA Group zeigte in seinem Vortrag auf, dass Kunststoffe in einem funktionierenden Kreislaufwirtschaftssystem dazu beitragen können, Treibhausgase zu reduzieren und damit ein Stück weit die Klimakrise zu bekämpfen. Er ist überzeugt: „Kunststoff ist ein Teil der Lösung, um CO2 zu reduzieren. Jedoch nur, wenn die Kunststoffkreisläufe geschlossen sind.“ Er räumte ein, dass die Kunststoffindustrie in der Vergangenheit nur linear gedacht und gehandelt, und dabei auch versäumt hat, Kunststoff als Wertstoff in der Gesellschaft zu verankern. Die Industrie habe aber mittlerweile klar erkannt, dass Kreisläufe gemeinschaftlich geschlossen werden müssen und arbeitet intensiv an diesem Thema. „Alle müssen zusammenarbeiten – von der Raffinerie über den Produkterzeuger, den Händlern, der Abfallwirtschaft bis zu den Konsument:innen“, betonte Hackl.
In der Kunststoffindustrie spielt die Digitalisierung von Prozess- und Wertschöpfungsketten eine zentrale Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen Produktion. Besondere Bedeutung haben in dem Zusammenhang Digitale Zwillinge. Diese werden in unterschiedlichen Anwendungen wie Assistenzsystemen, Softsensoren oder Qualitätskontrollen eingesetzt und ermöglichen neben einer vorrauschauenden und flexiblen Produktion die Verbesserung von Produkten. Das interdisziplinäre Kompetenzzentrum CHASE hat für die Bildung Digitaler Zwillinge ein hybrides Modell entwickelt, das analytische, datenbasierte und numerische Modelle kombiniert. „Die hybride Modell eröffnet neue Möglichkeiten, um schnelle und robuste Prozesse zu entwickeln. Damit kann man Vorhersagen im Prozess machen, man kann Empfehlungen im Prozess geben und man kann letztendlich den Prozess auch vollständig automatisieren“, erklärte Christian Marschik vom Competence Center CHASE. Er gab aber auch zu bedenken: „Digitalisierung funktioniert nur dann, wenn man entlang der gesamten Wertschöpfungskette arbeitet. Und das setzt voraus, dass man bereit ist, auch kritische Daten zu teilen.“
„Kunststoffe an sich sind sehr nachhaltig. Das Problem ist die falsche Entsorgung und damit das Fehlen einer Wiederverwertbarkeit“, stellte Christoph Burgstaller vom Transfercenter für Kunststofftechnik (TCKT) gleich zu Beginn seines Vortrags fest. Er zeigte anhand von Beispielen aus seinen Forschungsprojekten auf, welch‘ hochwertige Anwendungen aus Rezyklaten möglich sind. Seine Ausführungen machten aber auch klar: Will man Kreislaufwirtschaft ernsthaft betreiben, braucht es nicht nur den Willen zu sammeln, es braucht auch gute Sammelsysteme und noch bessere Aufbereitungssysteme für Kunststoffabfälle. Das Thema der Wiederverwertbarkeit muss schon in der Produktentwicklung mitgedacht werden – Stichwort „Design for Recycling“. Und schließlich braucht es Anreize, Kunststoff als Wertstoff zu sehen. Nur dann könne der Kreislauf auch geschlossen werden, ist Burgstaller überzeugt.
Wie Abfälle aus der Kunststoffindustrie und der Roheisenerzeugung als Sekundärrohstoffe in anderen Industriesektoren genutzt werden können, erklärte Anna Haider von der K1-MET GmbH. So kann etwa Hochofenschlacke aus der Stahlindustrie mineralische Füllstoffe wie Talkum und Calciumcarbonat in der Kunststoffindustrie ersetzen. Die Stahlindustrie wiederum verwendet Kunststoffabfälle als Ersatzreduktionsmittel im Hochofen, denn der Kohlenstoff im Kunststoff kann den Kohlenstoff der Kohle ersetzen. Dafür bedarf es aber auch strenger Qualitätsvorschriften für den Altkunststoff. Rund ein Drittel des klimaschädlichen Kokses kann so ersetzt werden. „Solche Industriesymbiosen bei der Reststoffverwertung bringen uns einen wichtigen Schritt näher an die Erreichung der EU-Klimaziele“, sagt Haider.
Der Onlinehandel nimmt stetig zu, was zu höheren Paketzahlen und einem Anstieg des Verpackungsmülls führt. Um grüne Verpackungslösungen drehte sich der letzte Vortrag der Session. Sarah Pfoser von der FH Oberösterreich – Logistikum Steyr stellte das Projekt „GreenPack – grüne Verpackung“ vor. Dabei geht es um Mehrwegverpackungen für den Onlineversand, die die Kund:innen nach Erhalt ihres Pakets bequem über die österreichische Post an den Händler retournieren können. Dort wird die Verpackung gereinigt und für die nächste Bestellung wiederverwendet. Im Pilotprojekt wurden nun mehr als 40 mögliche Verpackungen getestet, deren Lebensdauer geprüft, die Akzeptanz der Kund:innen erhoben und schließlich die ökologische Nachhaltigkeit bewertet. Pfoser fasste die Ergebnisse zusammen: „Mehrweglösungen bergen mit Abstand das größte Potenzial für positive Umwelteffekte, bringen jedoch auch den größten Umstellungsaufwand. In ein paar Monaten wird sich zeigen, ob sich dieser Aufwand lohnt. Denn nun wird in der Praxis getestet, ob die Konsument:innen auch tatsächlich bereit sind, die Verpackungen zurückzusenden.“
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