14.10.2020
Egal ob geliebt, gehasst oder skeptisch beäugt: Das Homeoffice wird – auch unabhängig von der Corona-Pandemie - immer mehr zum fixen Bestandteil der Berufswelt. Daraus resultieren viele offene Fragen, die das Team des Human Capital Management (HCM) in der oö. Standortagentur Business Upper Austria gemeinsam mit der FHOÖ analysiert hat. Die Ergebnisse der Studie sowie rechtliche Aspekte wurden bei einer Online-Veranstaltung am 12. Oktober präsentiert.
Was viele Berufstätige nur vom Hörensagen kannten, wurde im Frühjahr über Nacht Realität: Der eilige abgeräumte Frühstückstisch verwandelte sich in einen Arbeitsplatz, Aufgaben wurden in der Jogginghose erledigt und statt der Bürokollegen mutierte der Kühlschrank zum omnipräsenten Gegenüber. Tech-Startups, digitale Nomaden und Einpersonen-Unternehmen schwärmten schon lange von den Vorteilen der mobilen Arbeitswelt und der angeblich daraus resultierenden höheren Produktivität und Zufriedenheit. An der breiten Masse gingen die modernen Technologien und ihre angeblichen Errungenschaften in der präcoronaren Zeit allerdings vorbei. Die Pandemie änderte dies schlagartig. Nach der Schockwelle bot sich Zeit für Reflexion, die das HCM-Team zur analytischen Betrachtung nutzte. Um die Rolle von Heimarbeit aus der Sicht der Arbeitnehmer*innen jetzt und in Zukunft zu beleuchten, wurde gemeinsam mit der FHOÖ eine Umfrage durchgeführt. Wie zufrieden sind die Mitarbeiter*innen mit ihrer Arbeitsleistung und welche Vor- und Nachteile sehen sie in der Nutzung von Homeoffice? Die Resultate sind eine brauchbare Basis für Unternehmen, die Homeoffice anbieten oder optional „umsatteln“ wollen.
Bei der Online-Veranstaltung präsentierten die Studienautoren die Ergebnisse:
Mag. Peter Brandstätter MBA, beschäftigt als Fachbereichsleiter für Führung und Soziale Kompetenzen, FHOÖ, Campus Steyr, seit ca. 2004 Beirat im HCM und FH-Prof. Mag. Dr. Christine Ebner, Fachbereich Führung & Sozialkompetenz.
Seit 2015 an der Fachhochschule OÖ als Professorin für Führung und Sozialkompetenz an der Fakultät für Wirtschaft und Management.
Aus Sicht der Expert*innen werden beim Homeoffice Mischformen bevorzugt. Nur 7 Prozent wollen überwiegend oder ausschließlich daheim arbeiten, aber auch nur 5 Prozent der Berufstätigen lehnen Homeoffice grundsätzlich ab.
„Zwei von drei Mitarbeitern wünschen sich einen Anteil von 21 bis 60 Prozent im Homeoffice – das entspricht bis zu drei Werktagen“
Dr. Christine Ebner
„Wenn Organisationen das Rad auf null zurückdrehen wollen, werden sie wahrscheinlich ein Problem haben; wenn andere Unternehmen der Meinung sind, Homeoffice ist die ultimative Lösung, werden sie auch ein Problem haben.“
Mag. Peter Brandstätter MBA
Beim Digitaldienstleister Netural war Homeoffice vor dem Lockdown kein dringliches Thema. Aufgrund der Komplexität der Digitalprojekte und der agilen Organisation waren interdisziplinäre Teams, kurze Wege und Arbeitssettings wie "alle an einen Tisch“ gängige Arbeitsformen. Der Umzug in die Homeoffices hat aufgrund der Strukturen von einem Tag auf den anderen funktioniert und die operativen Projekte wurden nahtlos fortgesetzt.
Heute arbeitet Netural in einer Hybrid-Form, die es den Mitarbeiter*Innen erlaubt, je nach Arbeitsinhalt und persönlicher Situation im Homeoffice oder im Büro zu arbeiten. Gesteuert wird die Anwesenheit durch klare Spielregeln und für die Sicherheit nutzt Netural Covidoor - das Gesundheitsticket.
„Es gibt keine Regelung, die für alle passt. Deswegen bin ich auch kein Fan eines fixen Homeoffice-Freitag. Es braucht aus meiner Sicht ein flexibles Modell, das kurzfristig auf die jeweilige Arbeits- und Lebenssituation angepasst werden kann und die Produktivität sicherstellt.“
Mag. Irene Bouchal-Gahleitner, Director People & Organization, Netural
Bei Richter Pharma war Homeoffice kein Neuland. Das Unternehmen hat schon vor ein paar Jahren gemerkt, dass das Recruiting im oö. Zentralraum schwierig ist. Der Ruf nach Homeoffice wurde immer lauter, seit 2017 liefen verschiedene Projekte, bei denen es entsprechende Vereinbarungen gab. Beim Lockdown wechselten 120 der 430 Mitarbeiter*innen mit einem Schlag ins Homeoffice.
„Wir hatten den Vorteil, dass es bei uns schon Vereinbarungen und klare Regeln für das gab. Ein Problem aus meiner Sicht ist, dass manche Mitarbeiter*innen, bei denen kein Homeoffice möglich ist, Vorurteile haben. Hier ist es notwendig Transparenz zu schaffen und Überzeugungsarbeit zu leisten.“Petra Seiler, Leitung Human Resources bei Richter Pharma
Fokus war, bei Mitarbeiter*innen und Unternehmen ein Stimmungsbarometer einzuholen.
Zielgruppe: Personen mit und ohne Homeoffice-Erfahrung, Schwerpunkt Oberösterreich
Rücklauf: N= 1.106 (vollständige Fragebögen)
29 % mit Führungsverantwortung; 71 % ohne
branchenübergreifend
87 Prozent im virtuellen Dialog
94 Prozent wollen klare Regeln
Hohe Zufriedenheit mit Arbeitsleistung
Jobwechsel: Homeoffice ist ein Kriterium
Auch am Arbeitsmarkt sind Unternehmen, die Homeoffice anbieten, klar im Vorteil. Wie die Umfrage zeigte, wünschen sich 4 von 5 Bewerber*innen die Option, von daheim aus arbeiten zu können.
Vorteile und Nachteile von Homeoffice
Rechtliche Aspekte entscheidend
Dr. Andreas Gattinger, seit 2012 Tätigkeit in der Rechtsabteilung der WKO mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht, listete die rechtlichen Aspekte für Homeoffice-Regelungen in den Unternehmen auf. Aus Sicht des Experten ist Rechtssicherheit der entscheidende Punkt: „Schriftliche Vereinbarungen zwischen den Unternehmen und den Mitarbeiter*innen sind zwingend notwendig, sonst besteht die Gefahr, dass sich Gewohnheitsrecht breit macht und für Schwierigkeiten sorgt“, betont Gattinger. Arbeitszeitrechtlich macht es keinen Unterschied von wo der Arbeitnehmer arbeitet. Auch sonst gelten alle arbeitsrechtlichen und kollektivvertraglichen Vereinbarungen. Hauptproblem: Es gibt noch kein Homeoffice-Gesetz, erst im März 2021 soll konkreter Entwurf präsentiert werden.