09.11.2021
Farbstoffe, Geschmacksverstärker oder Konservierungsstoffe – die Liste an Lebensmittelzusätzen ist lang. Viele davon sollen die Haltbarkeit und konstante Qualität der Nahrungsmittel positiv beeinflussen. Vier Unternehmen aus Oberösterreich versuchen nun gemeinsam mit dem FH OÖ Campus Wels, alternative, regionale Rohstoffe für die Backindustrie zu entwickeln, die einen ähnlichen Effekt erzielen und dabei das Endprodukt möglichst „natürlich“ belassen. Unterstützung erhalten die Projektpartner dabei vom Lebensmittel-Cluster der oö. Standortagentur Business Upper Austria.
Viele Konsument*innen haben die lange Liste an E-Nummern auf den Lebensmitteletiketten satt und achten beim Einkauf zunehmend auf Produkte aus natürlichen Rohstoffen. Allerdings bedarf es bei der Lebensmittelherstellung einer weitestgehend konstanten Rohstoffqualität, um auf die Zugabe künstlicher Zusatzstoffe verzichten zu können.
Die Öl Mühle Raab KG aus Fraham, die Knollmühle GmbH aus St. Georgen an der Gusen, die Morgentau Biogemüse GmbH aus Hofkirchen im Traunkreis und die Mühlviertler Naturbäckerei Bräuer aus Reichenthal wollen gemeinsam mit dem Studiengang Lebensmitteltechnologie und Ernährung am FH OÖ Campus Wels in einem Forschungsprojekt regionale, veredelte Rohstoffe entwickeln, die eine möglichst geringe Verarbeitungstiefe besitzen und trotzdem eine konstante Qualität aufweisen. So bleiben außerdem nicht nur wertvolle Vitamine und Nährstoffe erhalten, es fallen im Produktionsprozess auch weniger Abfälle an. Das wiederum führt zu einer verbesserten CO2-Bilanz. „Ein wesentliches Ziel des Studienganges Lebensmitteltechnologie und Ernährung ist es, Produktionsverfahren zu entwickeln, die möglichst umweltschonend sind und zu einer optimalen Ernährung beitragen“, erklärt FH-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Otmar Höglinger.
In fünf kleineren Teilprojekten startet die Projektgruppe nun mit der Umsetzung. Zunächst gilt es herauszufinden, ob die verschiedenen Backwaren auch tatsächlich mit den geplanten neuen Rohstoffen hergestellt werden können und welche technologischen Verfahren es dafür benötigt. Und schließlich soll auch noch untersucht werden, ob und wie die neuen Rohstoffe die Gesundheit positiv beeinflussen und möglichen Erkrankungen vorbeugen können.
In der Backwarenindustrie kommen oft Enzympräparate zum Einsatz, die biotechnologisch oder gentechnologisch aus Bakterien und Pilzen gewonnen werden. Die Enzyme beschleunigen die Gärzeit, verbessern die Krustenrösche und erhöhen das Gebäckvolumen. In den letzten Jahren geht die Industrie jedoch wieder vermehrt zurück zu natürlichen Hilfsstoffen wie etwa Malzmehlen aus gekeimtem Getreide, die größere Mengen dieser Enzyme enthalten. Die Naturbäckerei Bräuer und die Knollmühle wollen gemeinsam mit der FH OÖ einen neuen Weg erkunden: Anstelle von Malzmehlen sollen fermentierte Weizenkeimlinge zum Einsatz kommen. Diese Keimlinge stammen nicht aus einem Keimprozess, sondern werden im Mahlprozess direkt abgetrennt und dem Mehl beigegeben.
Weizenkleie entsteht als Nebenprodukt beim Mahlen von Weizen zu Weißmehl. Sie wirkt nachweislich gesundheitsfördernd bei Diabetes, Gefäßerkrankungen, Reizdarmsyndrom und anderen Magen-Darm-Erkrankungen. Je nach Produktionsverfahren variiert die Qualität von Weizenkleie jedoch erheblich. Deshalb wollen die Projektpartner Knollmühle, Naturbäckerei Bräuer und die FH OÖ das Produktionsverfahren überarbeiten, um ernährungsphysiologisch gesehen die optimale Kleie zu erhalten. Ziel wäre, eine entsprechende Menge dieser Kleie verschiedenen Produkten wie z. B. Müslis zuzufügen, um deren Ballaststoffanteil zu erhöhen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gibt hier nämlich einen klaren Richtwert vor – 25 Gramm pro Tag sind notwendig, um eine normale Darmfunktion bei Erwachsenen zu gewährleisten.
Weizenkeimöl wird aus den winzigen Keimen des Weizenkorns gewonnen. Die Öl Mühle Raab will gemeinsam mit der Knollmühle und der FH OÖ ein Kaltpressverfahren entwickeln, das eine optimale Ausbeute an hochwertigem Weizenkeimöl liefert. Der Pressrückstand – das sogenannte Kernmehl – soll als Lebensmittelzusatz wieder Verwendung finden.
In sehr vielen Backwaren wird Palmöl verwendet. Seit geraumer Zeit steigt jedoch der Wunsch nach Alternativen, da die ökologische und soziale Nachhaltigkeit der Palmölproduktion von Konsument*innen zu Recht kritisch gesehen wird. Sonnenblumenöl kann in manchen Fällen ein Ersatz sein. Sein nussiger Eigengeschmack, der durch die Schalen der Sonnenblumenkerne entsteht, macht es jedoch für viele Produkte ungeeignet. Die Öl Mühle Raab, die Naturbäckerei Bräuer und die FH OÖ wollen deshalb ein Produktionsverfahren entwickeln, das die Sonnenblumenkerne vor dem Pressen schält. Auch andere Bearbeitungsmöglichkeiten wie das anschließende Abkühlen des Öls auf fünf bis acht Grad Celsius (Winterisierung) oder die Wasserdampfbehandlung werden im Projekt untersucht, um den nussigen Geschmack zu entfernen.
Das am häufigsten verwendete Süßungsmittel ist der Haushaltszucker. In Österreich wird er in einem relativ energieintensiven Prozess aus heimischen Zuckerrüben gewonnen. Alternativen wie Agavendicksaft, Ahornsirup oder Kokosblütensirup haben den Nachteil, dass sie meist nicht aus regionalen Rohstoffen produziert werden. Morgentau Biogemüse forscht gemeinsam mit der Naturbäckerei Bräuer und der FH OÖ an einem Herstellverfahren für Rübenpüree, das den herkömmlichen Zucker in Backwaren ersetzen soll. Rübenpüree enthält viele wichtige Nährstoffe und lässt sich wesentlich umweltschonender und energieextensiver produzieren als Zucker. Und es punktet durch seine regionale Verfügbarkeit.
Nahezu alle Produkte reisen, bis sie fertig bei den Konsument*innen ankommen. Manche sogar um die halbe Welt. Sie alle hinterlassen dabei zwangsläufig einen ökologischen Fußabdruck. Für den Schutz und Erhalt der Umwelt bedarf es mehr regionaler Rohstoffe und kurzer Lieferketten. Die Projektpartner wollen mit ihrer Arbeit im Projekt einen Beitrag dazu leisten und ein regionales Netzwerk aufbauen, das Rohstofferzeuger und Produzenten miteinander verbindet. „In einer Zeit, in der die Menschen stark industriell verarbeitete Produkte immer kritischer sehen und zunehmend eine ‚Back to the Roots‘-Mentalität vorherrscht, haben die Unternehmen die Chance, sich als regionales Netzwerk am Markt zu positionieren“, ist DI Heidrun Hochreiter, Managerin des Lebensmittel-Clusters, überzeugt.
Dieses Projekt wird aus Mitteln der oö. Wirtschafts- und Forschungsstrategie #upperVISION2030 vom Land OÖ gefördert.